«Wir holen Leben auf den Dorfplatz»

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23. Mai 2024 – Der Zolliker Wochenmarkt ist eine Veranstaltung für die Bevölkerung, ein Treffpunkt für alle. Für die Organisation ist Sandra Nufer zuständig. Ihr Job ist vielfältig und zuweilen nicht ganz einfach, wenn sich MarktfahrerInnen nicht an die Regeln halten.

Die Zolliker Marktchefin Sandra Nufer
Sandra Nufer vor einem Plakat für den Zolliker Märt (Foto: ZN)

INTERVIEW: RENE STAUBLI

Frau Nufer, mit der Eröffnung der Bäckerei Hausammann und der Drogerie sind auf dem Dorfplatz attraktive Marktstände weggefallen. Wie haben Sie als Marktchefin dieses Problem gelöst?

Ich habe die betroffenen Marktfahrer schon im Vorfeld kontaktiert und mit allen geschaut, ob und wie wir ihre Stände neu anordnen könnten. Das ist nicht ganz einfach, denn gewisse Produkte wie Fleisch und Ravioli sind heikel, wenn die Sonne auf die Vitrinen scheint, denn da verbreiten sich sehr schnell Bakterien. Wir haben eine zusätzliche Reihe gemacht und darauf geachtet, dass die Stände mit der hinteren Seite zur Sonne stehen. Andere Marktchefs sagen in solchen Situationen einfach: «Kauf Dir einen Sonnenschirm!». Wir bemühen uns schon ein wenig mehr um unsere Marktfahrerinnen und Marktfahrer. 

Sind die Stände am Zolliker Wochenmarkt begehrt?

Ja, die sind sehr begehrt. Wir müssen jedes Jahr Interessenten vertrösten. Und ich muss eine Reserve in der Hinterhand haben, wenn zum Beispiel die Pfadi mit einem Stand kommt, oder Greenpeace oder politische Parteien. Kurz vor den Wahlen oder wichtigen Abstimmungen hätte niemand Freude, wenn ich sagen würde, «sorry, für Euch haben wir jetzt keinen Standplatz mehr».

In der Zolliker Marktverordnung steht, dass «auf einen guten Warenmix und eine attraktive Marktgestaltung geachtet wird». Wenn man über den Markt geht, fällt einem aber auf, dass es mehrere Stände mit Früchten und Gemüse gibt.

Grundsätzlich legt die Marktverordnung fest, was man verkaufen darf und was nicht. Handyhüllen oder dergleichen kann man bei uns nicht anbieten, denn im Reglement steht ganz klar, dass es um Lebensmittel zum täglichen Gebrauch sowie Pflanzen und Blumen geht. Darauf stütze ich mich bei der Vergabe von Standplätzen ab. Wenn jemand sagt, «Ich möchte Schuhe verkaufen», so sage ich, «die kann man nicht essen». Dasselbe gilt beim Weihnachtsmarkt, für den ich ebenfalls zuständig bin. Da schauen wir darauf, dass vor allem handwerkliche, schöne Dinge angeboten werden.

Können Sie Marktfahrer abweisen, die in Zollikon Lebensmittel verkaufen wollen?

Nein, wenn ich Platz habe, darf ich das nicht, denn es gibt ein übergeordnetes, altes Gesetz der schweizerischen Fahrenden und Marktfahrer, das ganz klar sagt, dass ich grundsätzlich niemanden abweisen darf, der Waren im Rahmen unserer Marktverordnung anbietet. Das führt dann eben dazu, dass ich da draussen momentan drei «Gmüesler» habe, den Gemüse-Furrer aus dem Schongau, den Müller aus Hünenberg und den Beat Sätteli von der Spargelfarm in Ramsen. Ich habe derzeit sogar noch einen mit Biogemüse auf der Warteliste.

Dann können Sie das Angebot auf dem Zolliker Wochenmarkt also gar nicht so frei steuern?

Den «Biogmüesler» habe ich angerufen und ihm gesagt, «schau, ich habe schon drei von deiner Sorte». Ich habe ihm geraten, einen anderen Markt zu suchen. Auf der anderen Seite finde ich, dass Konkurrenz guttut. Man will und muss dann besser sein als die anderen und eine schönere Auslage machen und vielleicht sogar einmal lächeln beim Bedienen.

Sprechen Sie die Marktfahrer sogar auf ihr Benehmen gegenüber den Kundinnen an?

Wenn mich nach der Chilbi in Zollikon – für die bin ich auch noch zuständig – ein Standbetreiber «anpampt» und sagt, «es läuft einfach nichts in diesem Dorf», dann sage ich ihm auch einmal, «kein Wunder, mach doch mal ein freundlicheres Gesicht, und du wirst sehen, dass das etwas nützt». Wer mürrisch, rauchend und mit dem Handy in der Hand hinter einem Olivenstand steht, braucht sich über mangelnden Umsatz nicht zu wundern.

Sie scheinen einen intensiven Kontakt zur Marktfahrer-Szene zu haben.

Ich bin ja auch im Vorstand der «Vereinigung Nordostschweizerischer Marktorte und Fürstentum Liechtenstein» und deshalb gut über die Branche informiert. Im Januar war ich zu einer Veranstaltung des Schweizerischen Marktverbands eingeladen, da waren auch viele Marktfahrende dabei. Man tauscht sich aus und erfährt, was die Leute bewegt. Es ist schon gut, wenn man diese speziellen Leute ein wenig spürt. Weil ich unbedingt einen Brezelstand für die Chilbi wollte, fragte ich herum, ob jemand einen guten Anbieter kennt. Es verging kein halber Tag, und ich hatte einen Brezelstand-Betreiber am Telefon. Gute Beziehungen zu haben, lohnt sich schon.

Springen auch mal Marktfahrer ab, die Sie gerne behalten würden?

Das gibt es, aber jetzt sind wir grad um einen grösseren Verlust herumgekommen: Wir haben an der Chilbi ja jedes Jahr den Armbrust-Stand von Fredy Wyder aus Küsnacht. Er hat mir schon vor zwei Jahren gesagt, er komme nicht mehr. Kürzlich habe ich ihn angerufen und gesagt, «du Fredy, ich habe deine Anmeldung für die Chilbi 2024 noch nicht bekommen, was ist los mit dir?». Er sagte, seine Frau habe gemeint, er sei nicht mehr derselbe, wenn er seinen Armbruststand nicht mehr betreibe. «Also kommst du jetzt?», fragte ich ihn – und ja, er kommt noch einmal.

Mussten Sie einem Standbetreiber schon einmal eine Bewilligung verweigern oder entziehen? Diese Kompetenz haben Sie ja als Marktchefin.

Ja, das ist schon vorgekommen.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir hatten einmal einen sehr eigenwilligen Standbetreiber. Er war gegen Ende des Marktes oft betrunken und verrichtete seine Notdurft hinter dem Stand in den Rabatten, was natürlich gar nicht geht. Statt den Platz rechtzeitig wieder zu räumen, campierte er noch eine Weile. Dann setzte er sich in seinem bedenklichen Zustand ans Steuer. Eigentlich war er ein lieber Kerl, aber dieses Verhalten war natürlich untragbar, und es sind auch Beschwerden von Marktbesuchern bei mir eingegangen.

Das sind aber Ausnahmefälle?

So würde ich das nicht sagen. Ich musste auch schon schriftliche Verwarnungen erteilen.

Weshalb?

Im Reglement steht klipp und klar, dass der Markt um punkt 8 Uhr beginnt. Wenn jemand mit dem Lieferwagen erst dann auf den Platz fährt und die Leute gefährdet, finde ich das nicht in Ordnung. Beat Sätteli – der mit den Spargeln – ist schon um 5 Uhr da, das muss auch nicht sein, aber man sieht daran, wie wichtig er die Sache nimmt. Ich kann als Marktchefin nicht jeden Samstag auf dem Platz präsent sein und verstehe mich auch nicht als Aufpasserin, aber wenn mir zu Ohren kommt, dass es Probleme gibt, zeige ich mich schon. Die Regeln müssen eingehalten werden, sonst artet es aus.

Sie haben gesagt, dass es mehr Interessenten gibt als Standplätze. Kommt es vor, dass man Sie als Marktchefin auch mal «beschenkt», um bessere Karten bei der Vergabe zu haben?

Mir ist sehr bewusst, was ich für eine Position habe. Wenn man mir mal einen Apfel in die Hand drückt, ist das ok. Aber es hat noch nie jemand auf merkwürdige Art versucht, sich einen Vorteil zu ergattern. Wir lassen aber auch die nötige Vorsicht walten. Wenn wir bei der Chilbi zu den Standbetreibern gehen, um die Gebühren einzukassieren, sind wir immer zu zweit oder zu dritt, und wir stellen Quittungen aus – so ist gewährleistet, dass alles mit rechten Dingen zu und her geht.

Welches ist der dienstälteste Zolliker Marktfahrer?

Ich glaube, der Graf ist schon ewig da.

Wer ist «der Graf»?

Das ist der Gärtner, der ganz hinten auf dem Platz ist, der mit seinen lustigen, kunterbunten Sträussen. Und natürlich Beat Sätteli, der ist auch schon ewig dabei.

Einem Freund von uns ist folgende Begebenheit in Erinnerung geblieben: Auf dem kleinen Parkplatz neben dem ehemaligen Wöschhüsli – oder war es ein Milchhüsli? – stellte einmal jemand einen Grill auf und bot zur Freude der Marktbesucher gebratene Würste an, die er beim Metzger auf dem Platz kaufte. Dieser Grilleur musste den Platz räumen, und viele Leute fragten sich, warum? 

Da, wo der Grill stand, ist kein öffentlicher Grund, das sind die Parkplätze des Käsegeschäfts. Sie müssten dort nachfragen, was los war, aber persönlich habe ich es auch schade gefunden, dass er wegmusste, das gab so einen coolen, gemütlichen Groove. Mein Hohheitsgebiet erstreckt sich beim Wochenmarkt nur auf den Dorfplatz.

Wer auf dem Zolliker Wochenmarkt einen Stand betreibt, zahlt 4 Franken pro Quadratmeter und Tag, dazu einen Unkostenbeitrag von 50 bis 70 Franken. Nach einem grossen Geschäft für die Gemeinde tönt das nicht.

Es ist kein Verlustgeschäft, aber es resultiert auch kein nennenswerter Gewinn. Der Wochenmarkt ist eine Veranstaltung für die Bevölkerung, es ist Leben, das wir auf den Dorfplatz holen, der Markt ist zu einem Treffpunkt geworden, man spricht miteinander, es ist eine sehr schöne Art, hier in Zollikon das Leben zu geniessen.

Sandra Nufer, 53, wohnt «leider nicht in Zollikon» und auch nicht mehr in Bassersdorf, sondern mit ihrem Lebenspartner wieder in Uznach am Obersee, wo sie aufgewachsen ist. Sie ist nicht nur Marktchefin (Wochenmarkt, Weihnachtsmarkt, Chilbi), sondern managt auch den Gemeindesaal. Zur Arbeit kommt sie mit einem kleinen Elektroauto, das am Tag unseres Interviews statt Deutsch plötzlich Spanisch mit ihr sprach.  

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