«Wo habe ich mich unterwegs verloren?»

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1. März 2024 – «Wir können heute einem Gespräch beiwohnen, das Mut macht» – so kündigte Pfarrer Simon Gebs den Abend im Café am Puls an. Rund 90 Gäste verfolgten gebannt das Gespräch von Claudia Denzler und Barbara Lukesch zum Thema «Vom Platzspitz zurück ins Leben».  

Claudia Denzler und Barbara Lukesch bei der Tonprobe vor dem Gespräch (Foto/Video: rs)
Claudia Denzler und Barbara Lukesch bei der Tonprobe vor dem Gespräch (Foto/Video: rs)

Schon mit 14 war Claudia Denzler auf dem Platzspitz. 200 meist junge Drogenabhängige lebten permanent dort, bis zu 6000 weitere Menschen kamen an manchen Tagen vorbei, um ihren Bedarf zu decken. Mit 16 war sie auf Kokain, mit 17 auf Heroin, verbunden mit der üblichen Beschaffungskriminalität. Sie erlebte die Schliessung des Platzspitz’ mit, den Umzug der Szene auf den grossen Carparkplatz und schliesslich den Transfer auf den berüchtigten Letten, wo das Elend unermesslich war. Nach 13 Jahren Drogenkonsum schaffte sie den Ausstieg.

Auf die Frage von Barbara Lukesch, warum sie so jung dermassen abgestürzt sei, sagte Claudia Denzler: «Die entscheidende Frage ist, wo habe ich mich unterwegs verloren, bevor ich 14 war?»

«Ich bin es härzigs, luschtigs Meitli gsi»

Sie zeichnete das Bild eines verlorenen Mädchens, «mutig, interessiert, neugierig, es härzigs, luschtigs, zuhause nicht behütet, das nicht Nein sagen konnte». Unter anderem nicht zu einem Mann, der ihre Situation ausnützte, von dem sie ein Kind bekam, ihn auf Drängen der Familie heiratete und sich bald wieder von ihm trennte, weil sie ihn nicht liebte. Als das Kind kam, war sie in ihrem sechsten Drogenjahr in einem Umfeld, in dem viele ihr nahestehende Menschen starben: «Das Leben von Drogenabhängigen zählte damals in der Gesellschaft nicht viel.»

Als ihr wegen verschiedener Delikte eine vierjährige Gefängnisstrafe drohte, gelang ihr der Ausstieg. Sie lebte mit ihrer kleinen Tochter in einem Frauen-Kind-Haus, machte Entzüge, Therapien. Der beschwerliche Weg, bei dem es auch Rückfälle gab, führte sie schliesslich nach Küsnacht in eine Hilfseinrichtung, wo sie als Landschaftsgärtnerin arbeiten konnte. Die Arbeit in der freien Natur habe sich zu ihrer «absoluten Leidenschaft» entwickelt.

Und dann kam der entscheidende Schritt der alleinerziehenden Mutter in ein neues Leben: Sie trat der Küsnachter Feuerwehr bei und lernte dort einen Mann kennen, der ihr soziale Stabilität gab und ihr menschliches und handwerkliches Potenzial weckte:

Aus der Küsnachter Landschaftsgärtnerin wurde schliesslich die Zolliker Friedhofsgärtnerin. Platzspitz, Letten und Friedhof, das sei doch sicher kein Zufall?, merkte Barbara Lukesch an. Sie habe auf dem Friedhof arbeiten wollen, weil sie wisse, was es heisse, nahestehende Menschen zu verlieren: «Ich weiss, wie es ist, wenn das Herz blutet, wie es ist, wenn man ganz unten ist – ich kann solche Leute gut verstehen und bin eine gute Zuhörerin.» Dieses Talent komme ihr auch im Wohn- und Pflegezentrum Blumenrain zugute, wohin sie inzwischen als Gärtnerin gewechselt hat. Ein Zeichen ihrer Beliebtheit war die auffällige Präsenz von BewohnerInnen im Publikum.

«Lernt Euch kennen!»

Claudia Denzler geht zuweilen in die Schule, um über ihre Lebenserfahrungen zu berichten und mit den Jungen ins Gespräch zu kommen. Dabei rede sie eigentlich wenig über Drogen. Sie finde es auch nicht problematisch, wenn Junge bei Partys dann und wann über die Stränge schlagen und Drogen ausprobieren. Ihre zentrale Botschaft laute: «Lernt euch kennen. Macht euch Gedanken, was ihr mit eurem Leben anfangen wollt und welche Ziele ihr habt.» Stete Langeweile und erhöhtes Konsumverhalten seien Alarmzeichen: «Spätestens dann muss man genau hinschauen.»

«Aneluege» war ein zentraler Begriff an diesem Abend. Darum gehe es auch in ihrer neusten Tätigkeit als begleitende Seelsorgerin und therapeutische Lebensberaterin. «Für solche Gespräche müssen sich beide Beteiligten Zeit nehmen, sich hinsetzen, ehrlich sein und ‹aneluege› – ich glaube, das ist eine meiner Stärken nach allem, was ich miterlebt und überlebt habe.»

Ob sie es nicht bereue, 13 Jahre Ihres Lebens an die Drogen verloren zu haben, wollte Barbara Lukesch am Ende des Gesprächs wissen. «Natürlich, ich habe einen hohen Preis bezahlt», räumte Claudia Denzler ein. Aber dass sie ihren Weg doch noch gefunden habe, erfülle sie mit Stolz: «Mein Leben macht mich glücklich.» (rs)

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