Wo die Welt in Höngg noch in Ordnung ist

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Adrian Michael: «Nach meinem Rundgang durch Wollishofen, wo ich jede Ecke kannte, wollte ich in unbekannte Gefilde vorstossen. Höngg sollte es sein, das mit seiner Vergangenheit als Rebbaugemeinde vieles mit Zollikon gemeinsam hat.»

VON ADRIAN MICHAEL

Mein Start bei der Bushaltestelle Waid verläuft unfreundlich. Kühl ist es, ein fieser kleiner Regen fällt, neben der Bushaltestelle zerteilt ein Bagger mit lautem Getöse eine Betonplatte in handliche Stücke. Ein paar Schritte weiter oben versöhnt mich aber die prächtige Aussicht über Stadt und See schnell mit dem Ungemach der ersten Minuten ­– auch ohne die hinter einer Wolkenwand verborgenen Alpen ein grossartiger Anblick.

Ein grossartiger Ausblick, auch wenn das Wetter noch nicht so recht will (Fotos: Adrian Michael)
Grossartiger Ausblick, auch wenn das Wetter noch nicht so recht will (Fotos: Adrian Michael)

Dann geht es los, geradeaus dem Hönggerberg entlang. Der Himmel teilt sich ziemlich genau über mir: Südlich hängt eine graue Wolkendecke, aus der es unangenehm tropft, nördlich breitet sich hoffnungsvoll blauer Himmel aus.

Schon bald erreiche ich die erste historische Stätte. Von den Befestigungsanlagen, die die Russen 1799 bei der Schlacht um Zürich hier oben gebaut haben, ist allerdings kaum mehr etwas erkennen. Die Stelle war aber zweifellos gut gewählt, konnte man doch von da aus praktisch die ganze Stadt und das Limmattal überblicken und nach dem Feind Ausschau halten.

Mittlerweile hat der Regen nachgelassen, die Sonne nimmt überhand, kühl allerdings bleibt es. Immer wieder verleitet mich der prächtige Blick über die Stadt und das Limmattal zum Stehenbleiben und Schauen.

Auf dem Bauernhof von Jakob Heinrich Heusser am Vogtsrain gibt es eine technische Rarität aus der Zeit der bäuerlichen Mechanisierung zu bestaunen: Ein dampfbetriebener Tiefpflug von 1922 steht auf einer Wiese, Teil eines auf der Welt einzigartigen Dampfpflugsatzes. Eine gewaltige Konstruktion, die man gerne im Einsatz gesehen hätte! Um die Grössenverhältnisse zu verdeutlichen: Das rote Rad hat einen Durchmesser von gut zwei Metern.

Technische Rarität: der dampfbetriebene Pflug
Technische Rarität: der dampfbetriebene Pflug

Nun verlasse ich die noch recht ländlich anmutende Umgebung; hinunter geht es ins Dorf, wo an der Einmündung des Vogtsrain in die Gsteigstrasse alte Handwerker- und Bauernhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert überlebt haben. Das «Haus zum Kranz», erbaut 1506, ist eines der ältesten erhaltenen Gebäude Hönggs. Heute ist darin das Ortsmuseum untergebracht.

Das «Haus zum Kranz» beherbergt heute das Höngger Ortsmuseum
Das «Haus zum Kranz» beherbergt heute das Höngger Ortsmuseum

Durch den schmalen Kranzweg gelange ich zwischen den alten Gebäuden hinunter an die Limmattalstrasse. Von den imposanten Landgütern «Schwert» und «Tobelegg» aus dem 17. Jahrhundert ist leider durch die Bäume kaum etwas zu erkennen.

Eine Sehenswürdigkeit der besonderen Art ist eine lange Bruchsteinmauer entlang der Bäulistrasse aus dem 18. Jahrhundert. Sie trennte damals den noch unbebauten Rebhang von der Strasse und steht seit 1954 unter Denkmalschutz.

Schönes Mauerwerk aus alter Zeit
Schönes Mauerwerk aus alter Zeit

Der Meierhof ist so etwas wie das Zentrum des Quartiers. Der Name geht auf den einst hier wohnhaften Meier zurück, der Vertreter des Grossmünsters, der die Zinsen einzog. Die alten Gebäude, die einst den Platz umgaben, wurden 1987 abgerissen und durch klotzige Neubauten ersetzt, obwohl der Gemeinderat 1981 eine «Kernzone zum Schutz des Ortsbildes» geschaffen hatte. Ein Jammer.

Ein Jammer, dieses «moderne» Ortsbild, aber…
Ein Jammer, dieses «moderne» Ortsbild, aber…

Um die schmucke Kirche, das Pfarrhaus und das Schulhaus herum ist dann die Welt zumindest architektonisch wieder in Ordnung. Die alte Gebäudegruppe auf dem schon seit Jahrhunderten bewohnten Hügel bildete früher den Dorfkern. Von der Terrasse mit dem alten Friedhof im Süden der Kirche aus überblickt man das ganze Limmattal von der Stadt Zürich mit den Alpen im Hintergrund bis hinunter in den Kanton Aargau.

… es gibt auch lauschige Ecken und …
… es gibt auch lauschige Ecken und …
… um die Kirche ist die Welt ebenfalls noch in Ordnung
… um die Kirche ist die Welt ebenfalls noch in Ordnung

Der Rebberg unterhalb des Hügels, auf dem die Kirche steht, wurde 1969 neu angelegt. Die letzten Reben waren zuvor 1942 gerodet worden. Gekeltert werden die Trauben von der in Höngg seit über 600 Jahren ansässigen Familie Zweifel. An die Vergangenheit des Quartiers als weitläufiges Rebgebiet erinnern heute praktisch nur noch Strassennamen wie Weingartenweg, Winzerhalde oder Rebstockweg.

Jetzt komme ich unerwartet zu einem lauschigen, kleinen Tobel, in dem der Mühlehaldenbach zur Limmat hinunter plätschert. Ich ziehe aber den Weg vor, der entlang des Rebberges talwärts führt. Bald erreiche ich die Limmat und die praktisch menschenleere Werdinsel. Zwei Mütter sind mit Kinderwagen unterwegs, drei kleine Mädchen sammeln die zahlreichen Kastanien, die der Wind in den letzten Tagen heruntergeweht hat. Ein mutiger Schwimmer entsteigt dem Wasser.

Entlang des Rebbergs geht es hinunter Richtung Limmat
Entlang des Rebbergs geht es hinunter Richtung Limmat
Das Wehr bei der Werdinsel
Das Wehr bei der Werdinsel
Idyllisch auch im Herbst…
Idyllisch auch im Herbst…
…wenn nicht gebadet, dafür aber gejoggt werden kann
…wenn nicht gebadet, dafür aber gejoggt werden kann

Die heute so beschaulich anmutende Insel hat eine interessante Vergangenheit. Da wurde Getreide gemahlen, Hanf und Flachs gesponnen und Schwarzpulver hergestellt, später stand hier für 30 Jahre ein Autoabbruchbetrieb. Heute gehört die Insel der Stadt – im Sommer äusserst beliebt bei Städtern mit und ohne Badehose.

Mittlerweise hat sich die triste Regenstimmung des Morgens verflüchtigt, der Himmel ist sozusagen wie aus blauem Porzellan, und in der reingewaschenen Luft kommen die ersten Herbstfarben leuchtend zur Geltung. Über den Kloster-Fahr-Weg erreiche ich entlang der Limmat nach rund zwei Stunden das Ziel Frankental, die Endhaltestelle der Tramlinie 13. Der Name soll sich auf einen ehemaligen Besitzer oder Anwohner «Franko» beziehen.

Beim Frankental wendet das 13er-Tram
Beim Frankental wendet das 13er-Tram

Hier wartet noch eine letzte Sehenswürdigkeit auf mich: An der Limmattalstrasse 383 steht das Wohn- und Atelierhaus des Architekten, Malers und Bildhauers Max Bill. Im Haus gleich daneben lebte das Künstlerehepaar Ernst und Sasha Morgenthaler, bekannt durch die von ihr geschaffenen Morgenthaler-Puppen.

Das Wohnhaus des berühmten Architekten Max Bill
Das Wohnhaus des berühmten Architekten Max Bill

Mittlerweile ist es Mittag geworden, ich könnte ein paar Bissen vertragen. Da mich die im nächstgelegenen Restaurant angebotene Kombination von italienischer Küche und Steakhouse nicht wirklich anspricht, suche ich im Internet nach einer Alternative. Drei Busstationen entfernt bietet sich der Hönggerhof an, das tönt schon besser. Schön liegt er, direkt an der Limmat, recht gediegen.

Ich frage die freundliche Bedienung nach einem lokalen Wein, nehme ich doch an, dass im einstigen Weinbauerndorf ein einheimischer Tropfen angeboten wird. Aber nein, mehrheitlich italienische Weine mit vornehm klingenden Namen und Bordeaux werden mir empfohlen.

Jä nu, denke ich und bestelle halt einen leichten Italiener. Der ist mit 10.50 Fr. pro Deziliter nicht gerade günstig, schmeckt aber hervorragend. Ebenso hervorragend  sind die schön angerichteten Kürbisravioli mit Salbei. Also ein durchaus versöhnlicher Ausklang eines Spaziergangs durch ein interessantes Quartier, in dem es viel zu entdecken gibt.

Versöhnlicher Ausklang mit Salbei auf feinen Kürbisravioli
Versöhnlicher Ausklang mit Salbei auf feinen Kürbisravioli

Anreise: Mit dem Bus 161 vom Bürkliplatz zur Landiwiese.

Anforderungen: 10,5 km, 193 Meter auf- und abwärts, 2 3/4 Stunden.

Route: PDF von SchweizMobil

Adrian Michael

Adrian Michael hat 37 Jahre lang an der Zolliker Primarschule unterrichtet. Seit 2017 ist er pensioniert. Nebst der Zolliker Lokalgeschichte gehört auch das Wandern zu seinen Steckenpferden.

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