Zum 50 Jahr-Jubiläum ein Konzert im Knast
0 KOMMENTARE
3. Mai 2024 – Der Zolliker Werner Guidi spielt in der Blaskapelle Goldküste Flügelhorn. Am 6. Juli werden er und seine Kollegen in der Strafanstalt Pöschwies ein Konzert für die Gefangenen geben. Dieses aussergewöhnliche Projekt versetzt die MusikerInnen schon seit Wochen in Spannung.
Irgendetwas Besonderes sollte es dieses Jahr sein. Werner Guidi, Präsident der Blaskapelle Goldküste, überlegte hin und her, womit er seine Hornisten, Trompeter, Schlagzeuger und Klarinettisten kurz vor dem 50 Jahr-Jubiläum überraschen könnte. Nichts gegen die City-Ständchen an der Zürcher Bahnhofstrasse oder die Adventkonzerte im Restaurant Freihof in Gossau SG. Auch ein Auftritt an einem «Buuremusigträffe», die Gottesdienstbegleitung an der Zolliker Chilbi oder die Teilnahme am «Blasmusig-Sunntig» in Bachenbülach machen allen Spass. Doch Guidi, das einzige noch aktive Gründungsmitglied der Formation, wollte mehr: «Es war mir wichtig, mit meinen Kollegen etwas Neues, warum nicht sogar Herausforderndes zu erleben.»
Dann spielte der Zufall dem 76-jährigen Zolliker, der sein Leben lang in der Kommunikationsbranche tätig war und bestens vernetzt ist, in die Hände. Er traf einen Kollegen aus dem Toggenburg, der bis zu seiner Pensionierung in der Administration der Justizvollzugsanstalt Pöschwies gearbeitet hatte. Ein Wort gab das andere, und der Kollege erzählte, dass das Gefängnis jedes Jahr drei, vier Veranstaltungen wie Theateraufführungen, Lesungen oder Konzerte organisiere, um den Strafgefangenen etwas Unterhaltung zu bieten. Guidi war elektrisiert. Er habe sofort gespürt, erzählt er bei einem Kaffee in der Zolliker Stube, dass «ein Konzert im Knast der absolute Hammer» wäre. Er erkundigte sich, wie man vorgehen müsse, um sich für einen Auftritt zu bewerben.
Das Vorbild Johnny Cash
Von jetzt an war Werner Guidi intensiv damit beschäftigt, sich durch den bürokratischen Dschungel der Justizvollzugsanstalt zu kämpfen. Er war sich bewusst, dass Amtsmühlen langsam mahlen und liess sich nicht entmutigen. «Dazu war die Idee einfach zu gut», reibt er sich begeistert die Hände. Country-Fans denken natürlich sofort an die legendären Auftritte des US-Sängers Johnny Cash im kalifornischen Gefängnis San Quentin. Viermal ging Cash in den Hochsicherheits-Knast und begeisterte die Insassen jedes Mal aufs Neue. Sein letztes Konzert wurde live mitgeschnitten und kam unter dem Namen «At San Quentin» als LP heraus. Im Nu belegte es Platz Eins der amerikanischen Hitparade.
Doch zurück zur Blaskapelle Goldküste und Werner Guidi. Nach geschlagenen sechs Monaten hatte er die entscheidende Bezugsperson in Pöschwies identifiziert: Ein Herr F., erklärte man ihm, sei für Veranstaltungen in den Bereichen Kultur und Weiterbildung zuständig. Ihm solle er sein Anliegen schriftlich unterbreiten. Also setzte Guidi ein Schreiben auf, in dem er sich nach den Bedingungen für einen solchen Auftritt erkundigte: «Ich fragte, ob überhaupt Interesse bestehe; wenn ja, wo das Konzert stattfinden würde und mit welcher Gage die Blaskapelle rechnen könne.»
Das Warten ging weiter, doch nach vier Wochen kam die Antwort: Ja, man würde sich freuen, die Blaskapelle am 6. Juli begrüssen zu dürfen. Bei schönem Wetter im Freien, wenn es regne, in der Aula. Die Gage betrage 750 Franken plus Imbiss für alle Musikanten. Guidi jubelte. Er kam seinem Ziel näher. Für den März dieses Jahres lud ihn Herr F. nach Pöschwies ein, damit er sich ein Bild vom Inneren des Gefängnisses machen konnte. Guidi rollt noch heute mit den Augen: «Uih, das war Neuland für mich und machte mich im ersten Moment ziemlich nervös.»
Ein Erlebnis der besonderen Art
Inzwischen liegt dieser Besuch bereits einige Wochen zurück, und Guidi erzählt stolz von diesem Nachmittag, der ihm «richtig eingefahren» sei. Als er mit dem Auto in Regensdorf angekommen sei, habe er Herzklopfen gehabt und einen ungewöhnlichen Druck gespürt. Schon die Gefängnismauer habe ihn stark beeindruckt. Als er am Eingang läutete, merkte er, dass man ihn erwartet hatte. Das Tor wurde geöffnet, und er ging hinein. Der Kontrast zwischen dem lauten, hektischen Draussen und dem mucksmäuschenstillen Inneren des Gefängnisses hätte nicht grösser sein können. Beim Empfang musste er seine Identitätskarte, die Schlüssel und sein Handy abgeben und eine Schleuse passieren, vergleichbar jener am Flughafen Kloten. Auf der anderen Seite wartete Herr F. Nachdem der Zolliker eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben hatte, begann der Rundgang. «Eine halbe Betriebsbesichtigung», sagt Guidi.
Drahtgitter und eine steile Aula
«Es war ganz verrückt», erzählt er weiter, «sogar als ich aufs WC musste, begleitete mich Herr F. und wartete vor der Tür.» Dazu hätten ihn die riesigen Areale überrascht, auf denen die Strafgefangenen Fussball oder Tischtennis spielen, spazieren gehen oder sich anderweitig entspannen können. Bedrückend seien natürlich die hohen Mauern und Drahtgitter an allen Fernstern.
Als er fragte, wo die Blaskapelle auftreten könne, führte ihn Herr F. in die Aula, die technisch, genauer vom Ton und Licht her, auf dem absolut neuesten Stand sei: «Wahnsinn!» Interessant habe er auch die Anordnung der Sitzreihen für das Publikum gefunden, die extrem steil seien. Nachdem er mit Herrn F. noch geklärt habe, dass sie ganz frei in der Wahl der Stücke seien, die sie spielen würden, verabschiedeten sich die beiden Männer. Er habe aufgeatmet, als er die Gefängnismauern hinter sich gelassen habe, sagt Guidi.
Zwei trauen sich den Besuch nicht zu
Nun stand er vor der nächsten Herausforderung: er musste seine Musikkollegen über den geplanten Auftritt im Knast infomieren: «Uih, wie reagieren die Leute wohl, wenn ich mit einer solchen Idee komme?», habe er sich gefragt. Die Resonanz sei mehrheitlich positiv gewesen; nur zwei hätten Bedenken angemeldet und erklärt, sie würden es nicht schaffen, mit ins Gefängnis zu kommen.
Fragt man Werner Guidi, was denn ihn motiviere, ein solches Projekt anzureissen, kommt seine Antwort prompt: «Mir ist es mein Leben lang gut gegangen.» Sogar nach einer lebensbedrohlichen Operation habe er den Weg zurückgefunden. Seither sei es ihm ein grosses Bedürfnis, Menschen, die es schwerer hätten als er, unter die Arme zu greifen. Engagements bei der Anlaufstelle Brotegge, einem Hilfsangebot des verstorbenen Pfarrers Ernst Sieber, oder bei der Heilsarmee Zürich seien die Folge gewesen. Das Konzert im Knast schliesse sich für ihn nahtlos an. Er tue den Strafgefangenen, die sich in einer schwierigen Lage befänden, gern einmal etwas Gutes: «Es sind Männer, die zwar ein Verbrechen begangen haben, aber es sind trotzdem Menschen wie wir alle, die man nicht auf ihr Delikt reduzieren darf.»
Er schweigt eine Weile und sagt dann: «Ich bin wahnsinnig gespannt auf dieses Konzert.» (Barbara Lukesch)