Adrian Michael trifft Valentin Spinner
1 KOMMENTARE
16. Mai 2024 – Valentin war ein verträumter, naturliebender Primarschüler. Sein Lebensweg verlief nicht immer gradlinig. Nach einer Lehre als Koch wurde er Aktivist bei Greenpeace. Heute ist er engagierter Fachmann für Permakultur. (1 Kommentar)
16. Mai 2024 – Valentin war ein verträumter, naturliebender Primarschüler. Sein Lebensweg verlief nicht immer gradlinig. Nach einer Lehre als Koch wurde er Aktivist bei Greenpeace. Heute ist er engagierter Fachmann für Permakultur.
Ich lernte Valentin 1987 als Drittklässler kennen, vier Jahre später verabschiedete ich ihn nach der sechsten Klasse. Er war ein humorvoller Bub, empfindsam, verspielt und etwas verträumt. Oft spielte er draussen mit Mathias Tremp, den ich im Mai 2022 porträtiert habe. In der Pfadi war er bei den «Tulkas», wo er später auch Leiter wurde. Ein Erlebnis aus jener Zeit ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Eines Tages stand Valentin am Mittag vor Schulbeginn allein auf dem Pausenplatz. Es war kalt, und ich sah, dass er fror. Ich sagte ihm, er solle doch ins Schulzimmer kommen. Valentin aber schüttelte den Kopf. Nein, er wolle hier warten, er müsse das. Warum er das «musste», konnte er nicht sagen, aber ich vermutete, dass er sich das Warten in der Kälte als eine Art Durchhalteprobe auferlegt hatte. In der Familie Spinner war man sowieso auf besondere Art mit der Natur verbunden: Sobald es das Wetter im späten März einigermassen zuliess, kamen Valentin und seine drei Jahre jüngere Schwester Bettina «Nini» barfuss zur Schule. Da wusste man: Der Frühling ist nicht mehr weit!
Im alten Weinbauernhof
Ich treffe Valentin an seinem Geburtstag, 47 Jahre alt ist er nun. Im 500-jährigen Haus, in dem er aufgewachsen ist, bewohnt er im Parterre eine kleine Wohnung. Seine Mutter, die im oberen Stockwerk lebt, hat ihm einen grossen Blumenstrauss hingestellt. Das Haus ist nach jenem an der Hinter Zünen 8 wohl das älteste Gebäude Zollikons und seit über 100 Jahren im Besitz der Familie. Sein Grossvater Wilfried Spinner, Oberhofprediger zu Weimar und Generalsuperintendent des grossherzoglich-sächsischen Kirchenrats, kaufte 1918 kurz vor seinem Tod in Zollikon den alten Weinbauernhof «Zu den drey Tannen» mit Haupthaus, Stöckli und Scheune, mit 3000 m2 Land.
Wir setzen uns, und Valentin erzählt aus seinem bewegten Leben. Nach dem Abschluss der Sekundarschule in Zürich begann er eine Lehre als Koch in einem Zürcher 5-Sterne Hotel. Die drei Jahre als Lehrling bezeichnet er als die intensivste Zeit seines bisherigen Lebens. Die Gäste seien sehr anspruchsvoll gewesen und sein Chef auf eine negative Art «sehr alte Schule». Da er gegenüber Mitarbeitern immer wieder übergriffig geworden sei, informierte Valentin das Lehramt, das sich auf seine Seite stellte. Der Chefkoch wurde frühzeitig pensioniert, was eine grosse Genugtuung für den jungen Lehrling war.
Den zweiten Teil der Lehre absolvierte Valentin im Personalrestaurant der Zürcher Kantonalbank. Er schloss als eidgenössisch diplomierter Koch ab, die Berufsschule mit «sehr gut». Gleichzeitig legte er die Berufsmatura ab.
Auf Umwegen zur sozialen Arbeit
Nach der Lehre reiste Valentin nach Barcelona, wo er während drei Monaten Spanisch lernte. Zurück in Zürich folgten Jobs im Mövenpick-Plaza und als Privatkoch in der Clubszene im Toni-Areal, wo er für DJ’s und Techniker am Herd stand.
Es folgte ein erster Bruch: Nach der intensiven Zeit als Koch wünschte sich Valentin einen «normalen» Job. So absolvierte er bei der Swisscom eine Ausbildung zum technischen Supporter und arbeitete in der Kunden- und Mitarbeiterbetreuung.
Nach einer Reise nach Mexiko besuchte er die technisch-wirtschaftliche Hochschule HTW für Tourismus in Chur. Da die dort vermittelten Inhalte aber nicht seiner Vorstellung von Tourismus entsprachen, machte er kurzen Prozess und stieg wieder aus. Um so besser gefiel es ihm an der Hochschule für Soziale Arbeit in Basel, wo sein Studium der Sozialpädagogik mit dem Bachelor of Arts abschloss. Anschliessend arbeitete er als Jugendarbeiter und am Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Zürich.
Aktivist bei Greenpeace
Nachdem er eine Stelle als Hortleiter in Bülach wegen internen Schwierigkeiten aufgegeben hatte – Valentin lacht und sagt: «Alle Kinder wollten immer zu mir, was die anderen Mitarbeiter nicht so lustig fanden», – war er wieder reif für etwas ganz Neues: Er wurde Aktivist bei Greenpeace. Beim legendären ‹Occupy› Camp auf dem Lindenhof kochte er, organisierte Versammlungen und erklärte Besuchern aus aller Welt die Grundsätze und Ideen der Bewegung.
Später engagierte er sich auf dem Zürcher Labitzke-Areal für dessen Zwischennutzung, war Flüchtlingshelfer in verschiedenen Ländern, nahm an Klimakonferenzen in Paris, Bonn und Madrid teil und organisierte Führungen im deutschen Hambacher Forst, der für den Braunkohle-Abbau gerodet werden soll. In diesen Jahren verbesserte Valentin seine Sprachkenntnisse auf eindrückliche Art. Heute spricht er fliessend Englisch, Italienisch und recht gut Französisch und Spanisch.
Da einer seiner Vorfahren bei der Gründung der Schweizerische Kreditanstalt beteiligt war, interessierte Valentin das Thema Finanzen und Wirtschaft schon länger, und er las sich in die Materie ein. Was er dabei erfuhr, liess ihn zeitweise depressiv werden und unser Bildungssystem in Frage stellen. Die Jungen, fand er, dürften nicht länger zum Rädchen in einem fehlgeleiteten System werden. Er hatte andere Systeme im Kopf, weniger karriere- und konkurrenzorientiert.
Faszinierende Permakultur
2014 begann er seine Arbeit am Gemeinschaftswerk «Zu den drey Tannen» im Familienhaus an der Rainstrasse. Er setzte sich intensiv mit den Themen Garten, Permakultur und Selbstversorgung auseinander und wurde Gärtner. Wohl nicht ganz grundlos hatte er in der Pfadi «Grabbli» geheissen. Er informierte sich ausgiebig, wie sich Biodiversität fördern lässt. Vor allem die Permakultur interessiert ihn, ein ganzheitliches Konzept mit Fokus auf permanenter Biodiversität, Landwirtschaft und Gartenbau, das darauf basiert, Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur zu beobachten, nachzuahmen und zu stärken.
Im Emmental besuchte er einen dreiwöchigen Intensivkurs in Permakultur-Design. Heute baut er im grossen Garten hinter seinem Haus nach biologischen Grundsätzen Gemüse, Früchte und Beeren an; der Ertrag reicht, um damit zwei bis drei Personen zu versorgen. Auch Konfitüre stellt er her, von deren hervorragender Qualität ich mich überzeugen konnte.
Valentins grosser Wunsch ist es, eine Art betreuten Schulgarten aufzubauen, wo Kinder und Jugendliche lernen können, wie unsere Lebensgrundlage funktioniert und Lebensmittel auf natürliche Art gewonnen werden können. Sein Traum wäre es, auf der Allmend einen Teil der Schafweide in einen natürlichen Gemeinschaftsgarten umzuwandeln, um dort Interessierten die Liebe zur Natur näher zu bringen, aber auch die Zolliker Bevölkerung mit Gemüse und Früchten zu versorgen.
Valentin und seine 83-jährige Mutter Monica Kämpfen leben seit vielen Jahren vegan. Das erste Jahr sei nicht immer einfach gewesen, vor allem den Parmesan auf Teigwaren habe er vermisst. Aber jetzt habe er sich gut umgewöhnt. Ihre hervorragende Gesundheit führen beide auf ihre Ernährung zurück.
Ein uralter Weinkeller für Workshops
Ein anderes Projekt ist schon weit fortgeschritten: Den 500 Jahre alten Weinkeller hat er mit Freunden zu einem Veranstaltungsraum für nachhaltige Projekte umgebaut. Finanziell ermöglicht haben dies neben Valentin auch seine Mutter und seine Geschwister. Die alte Holzinfrastruktur wurde fast vollständig zurückgebaut und durch unbehandeltes Schweizer Fichtenholz ersetzt. Ein Wasseranschluss wurde installiert, die elektrischen Installationen angepasst und eine kleine Kaffee- & Bar-Ecke eingerichtet. Auch wenn noch vieles zu tun bleibt, ist die besondere Atmosphäre in diesem antiken Raum bereits gut zu spüren. Der Keller soll auch der Öffentlichkeit für kleinere Anlässe wie Workshops, Diskussionsrunden, musikalische Auftritte, Lesungen oder private Treffen zur Verfügung stehen.
In ihrem grossen, verwinkelten Haus leben neben Valentin und seiner Mutter noch sechs Untermieter. Valentin kümmert sich um die Vermietung, erledigt die Verwaltungsarbeit, hilft der Mutter und der Tante, die im Haus nebenan wohnt. Und natürlich kocht er für alle. Für diese Arbeit wird er entschädigt. Im Sommer wird seine Schwester Bettina mit ihrem Mann und den vier Kindern in die ehemalige Scheune nebenan einziehen, die zu einer Wohnung umgebaut worden ist.
Nach dem Gespräch geniessen wir zusammen mit seiner Mutter seinen frischgebackenen, veganen Rhabarber-/Apfelkuchen. Hervorragend!
Valentin scheint seinen Platz gefunden zu haben. Er absolviert zurzeit eine CAS Gartentherapie-Ausbildung an der ZHAW in Wädenswil. Ich wünsche ihm, dass er seine Ideen verwirklichen kann.»
1 KOMMENTAR
Danke Valentin und Adrian für diesen Artikel. Ich bin sehr glücklich zu hören, dass Ihr alle so gut drauf seid. Liebi Grüess an alle Ihr Lieben!