Der Klang des Schweizerdeutschen

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Balz Spörri: «Schweizerdeutsch klingt ziemlich rau. Vor allem, wenn man es mit weichen, fliessenden Sprachen wie Französisch oder Portugiesisch vergleicht. Hat das mit dem Charakter oder dem alpinen Habitat der alten Eidgenossen zu tun?

Schweizerdeutsch klingt ziemlich rau. Vor allem, wenn man es mit weichen, fliessenden Sprachen wie Französisch oder Portugiesisch vergleicht. Hat das mit dem Charakter oder dem alpinen Habitat der alten Eidgenossen zu tun? Die Gelehrten des 19. Jahrhunderts waren davon überzeugt. Die raue Mundart, so dachten sie, spiegele das raue Leben in den Bergen.

Der Thurgauer Geistliche Johann Kaspar Mörikofer etwa schrieb 1838: «Der harte k-Laut ist eine Geburt des Hochgebirges und darum über alle Bewohner der höchsten Alpenkette verbreitet.»

Später lächelten die Wissenschafter nur noch über solche Thesen. Sprache galt nun als geschlossenes System, das in keiner Weise von der natürlichen Umgebung beeinflusst wird.

Eine Studie des dänischen Sprachforschers Søren Wichmann und dreier Kollegen aus China zeigt jetzt aber, dass Sprache eben doch von der Umwelt beeinflusst wird: «Vereinfacht gesagt, sind Sprachen in wärmeren Regionen lauter als die in kälteren Regionen», sagt Wichmann.

Die Forscher berechneten für 5293 Sprachen oder Dialekte weltweit einen Sonoritätswert. Sonorität bezeichnet die Klangfülle eines Lautes. Leise sind zum Beispiel sogenannte Plosivlaute wie «K», laut sind etwa offene Vokale wie «A». Je niedriger der Sonoritätswert, desto leiser ist die Sprache. Diese Werte verglichen die Forscher mit den Temperaturen der Region, wo die Sprache gesprochen wird.

Am leisesten wird demnach an der kühlen Nordwestküste Nordamerikas gesprochen. Die Sprachen der indigenen Kulturen dort zählen viele Wörter mit dicht aneinandergereihten Konsonanten. Mücke etwa heisst in der Sprache Nuxalk «pk’m». Deutlich lauter klingen die vokalreichen Sprachen in warmen, südlichen Gegenden wie Ozeanien oder Westafrika. Auf Yoruba zum Beispiel heisst der Schmetterling «labalábá».

Dafür gebe es physikalische Gründe, so die Forscher. In trockener, kalter Luft fällt die für die Produktion stimmhafter Laute (also etwa Vokale) nötige Vibration der Stimmbänder schwerer. Warme Luft dagegen absorbiert die hohen Frequenzen der stimmlosen Laute. In der Wärme klingen deshalb Vokale stärker und kommen entsprechend häufiger vor.

Und Schweizerdeutsch? Das liegt lautstärkenmässig näher bei Nordamerika als bei Ozeanien. Der Sonoritätswert von Berndeutsch liegt bei 9,6. Der maximale Wert einer der untersuchten Sprachen beträgt 12,9, der minimale 7,2. «Schweizerdeutsch», sagt Søren Wichmann auf Anfrage, «ist also nicht besonders ‹laut›».

Studie: Temperature shapes language sonority: Revalidation from a large dataset

Balz Spörri (geb. 1959) lebt als Journalist und Autor in Zürich.

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