Der verrückte Tagesablauf der Schulleiterin

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16. April 2024 –In die Schule 3×3 gehen Kinder, die andernorts nicht mehr tragbar waren. Der Lehrerin und Schulleiterin Ruth Baumgartner gelingt es dank Erfahrung und Know How, diese «Sorgenkinder» auf den rechten Weg zurückzuführen.

Ruth Baumgartner
Schulleiterin Ruth Baumgartner (Illustration: Willi Spirig)

Um 4 Uhr stehe ich auf. Es gibt aber immer mehr Tage, an denen ich den Wecker bereits auf 3.30 Uhr stelle. Alles eine Sache der Gewohnheit. Die erste Viertelstunde des Morgens nutze ich, um richtig wach zu werden: Yoga, eine Bodenübung und zuletzt neurogenes Zittern, mit dem ich meinen Körper derart durchschüttle, dass ich ihn kaum noch unter Kontrolle habe. Nachher dusche ich und trinke ein Glas Wasser. Jetzt bin ich wach.

Mit dem Auto fahre ich von unserem Wohnort Küsnacht nach Männedorf, wo sich meine Schule 3×3 befindet. Ich treffe gegen 4.30 Uhr ein und koche mir als Erstes einen Krug Chai-Tee. Weil ich in einem Hirnprogramm der Universität Bern gelesen habe, dass es geistig fit hält, eine neue Sprache zu lernen, versuche ich mir Ukrainisch beizubringen, jeden Morgen eine achtminütige Sequenz. Den Hinweis, dass Jonglieren ebenfalls ein wertvolles Hirntraining darstellt, habe ich in den Unterricht einfliessen lassen.

Nach meiner Ukrainisch-Lektion lese ich noch eine Viertelstunde in einem anspruchsvollen Sachbuch, aktuell zum Thema Menschenrechte. Es kann gut sein, dass ich nicht alles verstehe; aber das macht gar nichts. Diese Morgenlektüre erfrischt mich. Nachher suche ich mir in der Mediathek einen Spiel- oder Dokumentarfilm und genehmige mir noch eine Viertelstunde Unterhaltung.

Um 5 Uhr sollte ich dann spätestens mit den Unterrichts-Vorbereitungen beginnen. Das Tagesprogramm habe ich bereits am Vorabend geschrieben; der Ablauf steht also. Jetzt kümmere ich mich um die Feinarbeit, stelle Arbeitsgruppen zusammen, bestehend beispielsweise aus zwei Dritt- und zwei Fünftklässlern, die grosse Schwächen im Bruchrechnen haben, und mache das notwendige Material parat. Oder ich bereite die Deutschlektionen vor, indem ich die von den Schülern von Hand geschriebenen Aufsätze in den Laptop tippe, um eine bessere Arbeitsgrundlage für die Besprechung in der Klasse zu haben. Je nach Bedarf verbessere ich bereits einzelne Geschichten. Steht Musik auf dem Programm, Thema Rhythmussprache zum Beispiel, suche ich die entsprechenden Instrumente wie Klanghölzer, Rasseln, Trommeln und Tambourin zusammen.

Musik ist mir auch persönlich wichtig. Meine Schüler begleite ich gern auf der Orgel, was sie sehr schätzen. Kurz vor Unterrichtsbeginn um 8 Uhr spiele ich nur für mich noch fünf Minuten Querflöte. Das erdet mich. Zu dem Zeitpunkt habe ich bereits gefrühstückt: Haferflocken mit Sultaninen, Nüssen und einer Orange. Zum Trinken gibt’s den ganzen Tag Wasser, literweise.

Der Unterricht dauert von 8 bis 13 Uhr, unterbrochen von einer zwanzigminütigen Liegepause, während der sich die Knaben – Mädchen sind bei uns eine Ausnahme – auf dem Boden ausstrecken und mucksmäuschenstill sind. Sie kennen nichts anderes, und ich bin überzeugt, dass ihnen dieser Unterbruch dabei hilft, sich doch etliche Stunden konzentrieren zu können. Ich selber sitze in dieser Zeit auf meinem Stuhl und schliesse die Augen.

Das Mittagessen bereitet meine Assistentin zu. Zur Vorspeise gibt es jeden Tag etwas Gesundes, Rüebli, Fenchel, Äpfel, je nach Saison. Nur wer das gegessen hat, bekommt auch den Hauptgang. Der kann auch mal aus Pommes Frites und Chicken Nuggets bestehen oder aus Gehacktem mit Hörnli. Das lieben die Kinder natürlich.

Den Nachmittag verbringen die Schüler mit ihren Hausaufgaben. Ich habe alles so gut vorbereitet und aufgeschrieben, dass ich nichts mehr dazu sagen muss. Während diesen eineinhalb Stunden herrscht also bei uns Ruhe – ausser in der viertelstündigen Pause, in der die Knaben herumrennen oder ein Spiel spielen können. Diesen Unterbruch setze ich jeweils in der heikelsten Phase des Nachmittags an, wenn die Müdigkeit, ja, mitunter auch die Erschöpfung die Konzentration zu stark zu beeinträchtigen droht.

Um 15 Uhr ist die Schule aus; es sei denn, es ist Mittwoch, dann ist auch bei uns der Nachmittag schulfrei. Ich bin froh, wenn es fertig ist, fühle mich aber nie wirklich erledigt. Natürlich gibt es Situationen, die mich stark beanspruchen. Schliesslich sind wir ein Sammelbecken für Kinder und Jugendliche, die an verschiedenen Orten wie Regel-, aber auch Privatschulen, Internaten oder durchaus auch mal in einer psychiatrischen Klinik nicht mehr tragbar waren. Da kommt es natürlich zu Konflikten, teilweise sehr heftigen, die mich stark fordern.

Nachdem ich meine Klasse verabschiedet habe, gönne ich mir zunächst einmal 20 Minuten Pause. Dann lege ich mich hin und atme durch. Anschliessend mache ich die Grobplanung für den nächsten Tag; manchmal korrigiere ich Hefte. Irgendwann reicht’s dann, und spätestens um 17 Uhr geht’s heimwärts.

Als Erstes setze ich mich auf meinen Hometrainer, fahre Velo und schaue dazu «Tüll und Tränen» auf Vox, eine Sendung, in der es um Brautausstatterinnen und Hochzeitspaare geht. Das finde ich amüsant, weil ich Freude an schönen Kleidern und romantischen Geschichten habe.

Um 17.45 Uhr essen mein Mann und ich gemeinsam Znacht. Peter ist ein extrem guter Koch, der mich jeden Tag aufs Neue verwöhnt. Ich muss in der Küche nichts machen. Er managt auch das gesamte Backoffice und entlastet mich damit enorm.

Fünf Minuten spiele ich dann noch Geige oder Bratsche und zehn Minuten Klavier. Für mehr fehlt mir einfach die Zeit. Schliesslich brauche ich auch noch etwas Unterhaltung, und so schauen wir jeweils um 18.15 Uhr «Mini Chuchi – dini Chuchi», die Schweizer Kochsendung, und «Glanz und Gloria», das Promi-Magazin. Hauptsache, ich muss nicht an die Schule denken. Um 19 Uhr gehe ich ins Bett, lese noch ein paar Seiten und schlafe dann meistens reibungslos ein.» (Protokoll: Barbara Lukesch)

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