Der Zolliker Fotograf und seine Heiligen

0 KOMMENTARE

10. Mai 2024 – Livio Piatti besitzt eine Sammlung mit 150 Miniaturen von Heiligen. 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation hat er die geköpften Zürcher Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius produzieren lassen. Am 16. Juni präsentiert er an einer Vernissage* «allerlei Heilige».

Auswahl von Heiligen
Livio Piattis Sammlung umfasst rund 150 Miniaturen von Heiligen aus aller Welt (Fotos: André Roth, zvg)

Livio Piatti ist ein Sammler mit einer ausgeprägten Neigung zum Verspielten. Er selber würde sogar sagen, zum Versponnenen. Die Objekte seiner Begierde sind Heiligenfiguren, die nicht grösser als 15 Zentimeter sein sollen, aus Plastik oder Kunststoff, also nichts künstlerisch Wertvolles wie eine bayrische oder Elsässer Holzschnitzerei. Nein, industrielle Massenware ist ihm lieber, passend zur Abfertigung der Gläubigen an religiösen Hotspots wie Lourdes, Rom oder Santiago de Compostela.

Bis jetzt hat er gut 150 Stücke aus aller Welt zusammengetragen. Die Einen hat er in Souvenirläden gefunden, andere in Kirchenshops, dritte haben ihm Freunde von Reisen mitgebracht. Darunter die Schwarze Madonna aus dem französischen Seebad Saintes Maries de la Mer, Maria aus Einsiedeln, einen Jesus aus Rio de Janeiro, den heiligen Jakob aus Santiago de Compostela, aber auch Ganesh, den Gott der Hindus, aus Indien oder das sogenannte Child of Prague.

Einkaufen in Padua
Livio Piatti (hinten) bestaunt in Padua das reiche Heiligen-Angebot

Auch wenn der allergrösste Teil seiner Sammlung aus katholischen Heiligen besteht, hat er auch ein paar «Exoten» aufgenommen wie den Subcommandante Marcos, Revolutionsführer in Nicaragua, «weil Marcos», so Piatti, «für seine Landsleute offenbar auch eine Art Heiliger gewesen ist».

«Zürich kann auch Heilige»

Dermassen sensibilisiert für die Heiligen aus aller Welt stellte sich Piatti eines Tages die Frage, wie es denn um die geweihten Frauen und Männer in seiner Geburtsstadt Zürich bestellt sei. Dabei realisierte er, dass der Reformator Zwingli und die städtische Regierung 1524, also vor genau 500 Jahren, alle Bilder und Statuen, die Heilige verkörperten, aus den Kirchen entfernt hatten. Diese Art von religiösen Vermittlern brauche es nicht, verkündete Zwingli von seiner Kanzel, Glaubensangelegenheiten könnten Gott und der Mensch untereinander ausmachen. Die Säuberungsaktion verlief weitgehend gesittet; es gab keinen Bildersturm, die Kunstwerke wurden ihren ursprünglichen Besitzern ordnungsgemäss zurückgegeben.

Darunter befanden sich auch verschiedene Darstellungen von Felix, Regula und Exuperantius, den drei Zürcher Stadtheiligen, die gemäss einer frühmittelalterlichen Legende Opfer der Christenverfolgung geworden sein sollen. Bis Zwingli alles, was an sie erinnerte, entfernen liess, wurden sie als Märtyrer verehrt, die zur Gruppe der Cephalophoren (Kopfträger) gehörten. Diese hätten nach ihrer Enthauptung, so die Legende, ihre abgeschlagenen Köpfe aufgehoben und seien damit noch ein Stück weitergelaufen.

Als Livio Piatti von dieser Geschichte hörte, war sein Interesse auf der Stelle geweckt. Das Thema liess ihn nicht mehr los, und so kam er auf eine ganz besondere Idee: Er wollte die Figurengruppe in hundertfacher Ausführung herstellen lassen und in der Stadt Zürich damit ein touristisches Souvenir anbieten, wie er es selber gern im Ausland findet. Unter dem Motto «Zürich kann nicht nur Finanzen, Zürich kann auch Heilige» plante er seinen Beitrag zur Erinnerung an das legendäre Trio.

Eine Skizze als Vorlage

Als Erstes machte er sich auf die Suche nach Abbildungen und wurde an der südlichen Tür des Zürcher Grossmünsters fündig, aber auch an einem Brunnen in der Nähe der Polizeiwache Urania. Im Anschluss entwarf er Skizzen, die einem Produzenten als Vorlage dienen konnten.

Livio Piattis Skizze der Zürcher Stadtheiligen
Äusserst kunstvoll: Livio Piattis Skizze der Zürcher Stadtheiligen

Nur: wie sollte er so jemanden ausfindig machen? Und wie sollte er benennen, was er sich wünschte? Little Saints? Small Statues? Im Internet stiess er auf einen Anbieter in China, dessen Website ihm letztlich aber zu wenig vertrauenswürdig erschien, so dass er den Kontakt wieder abbrach.

Konkreter wurde es erstmals, als er in der Toscana einen Hersteller traf, der ganz Italien mit solchen Figuren beliefert und ihm in seinem Showroom ein beeindruckendes Sortiment von «riesigen bis winzigen Exemplaren» präsentierte. Ein Glücksfall, frohlockte Piatti. Er schickte ihm seine Skizzen, bat um eine Offerte und wartete voller Ungeduld auf das nächste Lebenszeichen. Leider kam keins mehr. «Vielleicht war ich ihm zu wenig katholisch», sinniert Piatti.

Doch siehe da: Von einem Freund bekam er den entscheidenden Tipp – www.spielfiguren.de –, und von jetzt an ging alles ganz schnell: er bestellte 500 Exemplare aus Kunstharz, je 12,5 cm hoch und koloriert. Die Lieferung traf pünktlich ein. Piatti war «beeindruckt von der Sorgfalt, mit der die Figürchen hergestellt und bemalt sind». Er fotografierte sie vor dem Grossmünster und der Wasserkirche und liess ein Booklet in Deutsch und Englisch drucken, um ausländischen Touristen die seltsame Sage kurz zu erläutern. Zur Zeit bevölkern Felix, Regula und Exuperantius, noch sorgsam in Schachteln verpackt, seine Garage.

Weltpremiere im Freibad

Am 16. Juni aber, genau 500 Jahre, nachdem Zwingli alle Heiligen aus den Zürcher Kirchenhäusern verbannte, wird Livio Piatti die drei Stadtheiligen an einer lockeren Veranstaltung wieder aus der Versenkung holen. In der Galerie des Freibads Letzigraben, dem einzigen grösseren Bau des Schriftstellers Max Frisch, der ursprünglich Architekt war, zeigt er eine Ausstellung, die er «Allerlei Heilige – Featuring Felix und Regula» nennt. Dort erlebt sein Heiligen-Trio dann seine Weltpremiere und kann zum Sonderpreis von 29 Franken erworben werden. Gleichzeitig präsentiert er seine Fotoarbeit «Allerlei Heilige» mit einer schrägen Auswahl aus seiner 150köpfigen Heiligensammlung. 

Ärger mit der Helferei

Livio Piatti selber, der seit vielen Jahren in Zollikon lebt und inzwischen auch Bürger der Gemeinde ist, hat keinen engen Bezug zur Religion. Er sei zwar fasziniert von der Religiosität der Leute, habe sich selber aber nie mit Inbrunst zu einer Glaubensrichtung bekennen können. Seine Mitgliedschaft in der reformierten Kirche habe er weniger aus Überzeugung aufrechterhalten als aus Bequemlichkeit und der Erfahrung, dass ihn nie jemand geplagt habe und der Pfarrer, der ihn konfirmiert habe, «ein netter Mensch» gewesen sei.

Richtig verärgert habe ihn aber das von der reformierten Kirche subventionierte Kulturhaus Helferei. Drei freundliche Anfragen, ob man Interesse an einer Zusammenarbeit im Rahmen der Vernissage habe, seien schlicht nicht beantwortet worden.  

Dessen ungeachtet hat Piatti eines seiner wichtigsten beruflichen Werke einem hochreligiösen Thema gewidmet: «Schtetl Zürich – Von orthodoxen jüdischen Nachbarn». In fünfjähriger Arbeit realisierte er einen Fotoband über den Alltag seiner jüdischen Nachbarn – er wohnte damals im Zürcher Stadtkreis Wiedikon. Weil man ihm mit grosser Offenheit begegnet sei, erzählt er, habe er einen tiefen Einblick in das Leben der Glaubensgemeinschaft bekommen und viele eindrückliche, auch überraschende Bilder machen können. (Barbara Lukesch)

* Ausstellung «Allerlei Heilige – Featuring Felix und Regula» vom 16. bis 23. Juni in der KULT-Galerie des Freibads Letzigraben, Vernissage ebendort am 16. Juni ab 15 Uhr (Interessierte sind herzlich willkommen, der Eintritt ins Bad ist für Galeriebesucher gratis), die Website www.felixundregulazueri.ch geht am selben Tag online.

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

9 − neun =

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht