«Die Kinder haben viel erreicht mit Blödtun»

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20. April 2024 – Ruth Baumgartner ist für die Eltern herausfordernder Kinder die letzte Hoffnung. In ihrer Schule 3×3 in Männedorf schafft sie es, viele junge Schützlinge von der «schlechten» in die «gute Version» zu überführen. Gegen 100 BesucherInnen im Café am Puls waren verblüfft und gut unterhalten.

Gut gelaunt: Ruth Baumgartner und Barbara Lukesch (Foto/Video: ZN)
Gut gelaunt: Ruth Baumgartner und Barbara Lukesch (Foto/Video: ZN)

Die Kinder in der Schule 3×3 merken es selber, wenn sie in der «schlechten Version» sind. Dann sind sie übellaunig, unruhig, bockig und wollen stören statt lernen. In solchen Momenten sagt Ruth Baumgartner: «Jetzt gehst Du am besten in die ‹Happy End Maschine›.»

Die Maschine entstand, als die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften einen Wettbewerb zum Thema «Mensch und Maschine» ausschrieb. Ruth Baumgartner erläuterte den Kindern die Idee: es sollten verschiedene Räume entstehen, die dazu einladen, zu einem entspannten Verhalten zurückzufinden. Die Kinder bauten aus Karton eine «Abstands-Maschine», eine «Ruheraum-Maschine», eine «Süssigkeiten-Maschine», eine «Witz-Maschine» und die «Klaps-Spür-Maschine».

So entstand eine «Röhre des Verwandelns»: Das Kind betritt sie in der «schlechten Version», kann Abstand nehmen, zur Ruhe kommen, ein Zeltli essen, einen Witz lesen und zum Schluss mit einem verdienten Klaps in die Gruppe zurückkehren – in der «guten Version». Inzwischen hat jedes Kind seine persönliche Miniatur-«Happy End Maschine» am eigenen Platz.

Vom Umgang mit schwierigen Kindern

«Wissen die Kinder, dass sie in der Schule 3×3 ihre letzte Chance bekommen?», fragte Barbara Lukesch. «Nein, das wissen sie nicht», antwortete Ruth Baumgartner. Sie seien vielmehr der Meinung, dass sie überhaupt nicht schwierig seien. Dass sie rundherum Aufregung verursachen und mit ihrem Verhalten ihre Lehrer und die Eltern zur Verzweiflung treiben, sei ihnen meist nicht bewusst. Klar sei jedoch, «dass sie, wenn sie in meine Schule kommen, mit Blödtun viel erreicht und eine Menge Leute auf Trab gehalten haben».

Barbara Lukesch bat um ein konkretes Beispiel: «Wie gehen Sie mit einem Kind um, das in die Schule 3×3 kommt und jede Kooperation verweigert?

Ruth Baumgartner erzählte: Ein Fünftklässler wollte am ersten Tag partout nicht ins Schulzimmer kommen. Er blieb mit seiner Mutter draussen im Flur sitzen, den ganzen Morgen. Am nächsten Tag kamen die beiden wieder und setzten sich aufs Bänkli, dasselbe Spiel. Sie habe aufpassen müssen, dass das nicht zur Gewohnheit werde und dem Buben gesagt, er solle sich doch einmal die «Happy End Maschine» anschauen, was er ziemlich widerwillig, aber nicht uninteressiert tat. Jeden Tag lockte sie ihn mit einem neuen Angebot und gab ihm damit den Raum, aber auch den Anstoss, sich zu integrieren. Nach zwei Monaten habe er am regulären Unterricht teilgenommen.

«Ich habe durchaus meine Methoden»

«Zehn bis 12 herausfordernde, teils sogar gewaltbereite Kinder, worin liegt für Sie der Reiz, eine solch anspruchsvolle Klasse zu führen?», wollte Barbara Lukesch wissen. «Ich habe einfach gern, wenn es komplex ist», antwortete Ruth Baumgartner. Es sei spannend, herauszufinden, worauf ein Kind anspreche, was ihm am meisten nütze. Sie führe die Kinder «ganz eng», strukturiere die Abläufe, fordere bestimmte Verhaltensweisen ein und habe jedes Kind stets im Auge: «Ich versuche eine Atmosphäre zu schaffen, die den Kindern gut tut, aber auch verhindert, dass sie in ihre frühere Dynamik zurückfallen.»

Die Hand sei ihr noch nie ausgerutscht, verriet die Sonderpädagogin, aber sie habe durchaus ihre Methoden, die Kinder zur Räson zu bringen:

Für die Anwesenden im randvollen Saal des Café am Puls, darunter viele Lehrpersonen aus dem Schulhaus Oescher, waren insbesondere die Schilderungen der Einzelfälle interessant, auch von jenem, bei dem die Lehrerin ihr Scheitern eingestehen musste.

Loris, «ganz ein herziger und hochbegabter Bub», wie Ruth Baumgartner schwärmte, sei dauernd «von Null auf Hundert ausgerastet, ohne jede Vorwarnung». Er habe Sachen im Zimmer herumgeschleudert, «auch schwere Gegenstände», sogar dann, als sein Vater auf Geheiss der Lehrerin in der Schule anwesend war. «Loris war so eruptiv und unbeherrscht, dass es für die anderen Kinder gefährlich wurde.» Sie habe es mit Einzelunterricht frühmorgens zwischen 6.45 und 7.45 Uhr versucht, sie habe ihm zweimal die gelbe und einmal die rote Karte gezeigt, was in der Schule 3×3 eine nicht zu unterschätzende Bedeutung hat. Letztlich habe sie ihn aber nicht länger in der Gruppe behalten können: «Das ist mir sehr schwer gefallen, denn ich hatte ihn trotz allem gern.»

Welche Rolle sie denn in ihrer Schule einnehme, wollte Barbara Lukesch zum Schluss wissen. Ruth Baumgartner war um eine Antwort nicht verlegen: «Ich bin Tätschmeisterin, Schauspielerin, Coach und Generalin zugleich.» Lachend fügte sie hinzu: «Ich bin von meiner Arbeit begeistert – die Kinder sind es nicht immer.»

Cover des Buches Die Happy-End-Maschine

Die Happy-Ende-Maschine, Werkstattbericht aus der Schule 3×3, hep Verlag, 232 Seiten, 26 Fr.

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